lass mich dir was erzähl-tanzen …

Ein Wort dehnt sich aus, gewinnt an Kraft, bevor es  sich in einem sprachlosen Augenlick auflöst, um als kurzer Tanz wiederzukehren und schliesslich in einer schlichten Berührung zu enden – hast du es bemerkt? – still hat sich eine zarte Brücke zwischen Mund und Ohr gelegt.

Als kleines Mädchen las ich im Lichte der Taschen­lampe die Märchen der Brüder Grimm, und am Sonntag­morgen lauschte ich am Radio fasziniert der einzigartigen Märchen­erzählerin Trudi Gerster. Im jungen Erwachsenen­alter begleiteten mich die Märchen immer noch, heimlich zwar, denn wer wollte schon zugeben, die Märchen zu lieben?

Heute – viele Jahre später – ist das anders: Nicht nur Märchen, sondern auch Geschichten in all ihren Facetten sind ein wichtiger Bestand­teil meines Lebens geworden. Seit mehr als 20 Jahren bin ich nun schon als Geschichten­erzählerin für Erwachsene unterwegs. Das innere Feuer brennt und ruft nach immer neuer Nahrung. Die Geschichten entstehen entweder aus Gelesenem, Gehörtem, Erlebten, sind themen­bezogen oder der Situation angepasst.

Meine grosse Leidenschaft gilt den alten bern­deutschen Ausdrücken, die ich zu neuem Leben erwecke: «Halungg, Gizgritte, süferli, düüsele, änet em Port, chnorze, ferge, tryschaagge, löie … .» Doch nicht nur die Ausdrücke sind es, die meine Geschichten einzig­artig und lebendig machen. Es ist das gesprochene Wort schlechthin.

Vor vielen Jahren begegnete ich einer wunder­baren Frau, die mir einen Satz mit auf den Weg gab. «Jedes Wort, das du sagst, musst du spüren, kauen – ein Aber ist nicht nur ein Aber, entdecke all seine Gesichter.» Dieser Satz wurde ein Credo. Das Wort, durch Stimme und Köper ausgedrückt, wird den Zuhörer umgarnen, über­raschen, berühren und aufrütteln. Tanzend erobert es dessen Herz, leicht­füssig und sinnlich wie ein Ballet, lustig und verbindend wie eine Polka, akrobatisch und schnell wie ein Rock’n’Roll, erotisch und geheimnis­voll wie ein Tango, feurig und stolz wie ein Flamenco- oder Zigeuner­tanz. So entsteht bei jedem ein ureigener innerer Geschichtentanz.

Meine zweite Leidenschft  gilt dem Tanz, dem freien Tanz, der entsteht, wenn ich mich ganz dem Moment hingebe. Wann immer die Situation und Geschichte es zulassen, lasse ich meinen Körper reden und die gesprochenen Worte verstummen. Für mich ein wundersames Geschenk diese zwei Sprachen miteinander zu verweben und staunend zu erleben, was daraus erwächst.